Heute gibt es eine halbe Stunde eher Frühstück, ich muss mich beeilen. Nach einer kurzen Unterhaltung mit meiner sprechenden High-Tech-Dusche ruft meine Gastgeberin Ai bereits, mein Frühstück sei fertig. Ich bin überrascht, im Gegensatz zum gestrigen kontinentalen Frühstück, gibt es heute eine große Portion Suppe, eine raffinierte, eher ungewöhnlich Kreation – Miso-Nudelsuppe mit verschiedenen Zitronenarten verfeinert.
Ich hatte Ai am Vortag erzählt, dass ich oft Suppen zum Frühstück esse, das hat sie zum Anlass genommen, mir heute diese Delikatesse zu servieren.

Sie macht sich auch viele Umstände wegen meiner Abreise, möchte mein Gepäck zu ihrem Bruder bringen, damit ich noch Zeit zum Entdecken und Fotografieren habe. 11.30 geht meine Fähre.
Ich entscheide mich aber spontan, die frühere Fähre um 9.00 zu nehmen. Es wird knappt, aber Ai ruft ein Taxi und ich komme rechtzeitig zum Hafen. Dort wartet das Schiff, die Rocket, eine normale Autofähre für eine etwas 3-stündige Überfahrt nach Yawatahama.

Am Ticketschalter kann man zwischen erster und zweiter Klasse wählen. Weil ich Tagebuch schreiben will, denke ich mir, in der ersten Klasse gibt es vielleicht ein Tischchen und ich muss nicht auf abgewetzten Plastestühlen sitzen. Also gönne ich mir die 10 Euro Aufpreis.
Als ich an Bord bin, denke ich, alles richtig gemacht, denn die erste Klasse macht wirklich etwas her, weiße Leidersitze, große saubere Tische, wenig Leute, Ruhe – alles perfekt. Die Stewardess geleitet mich jedoch über eine großen Treppe – mit Teppich und einem futuristischen leuchtenden Symbol darüber – auf das darüber liegende Deck. Da wird mir klar, dass ich gerade die Holzklasse gesehen habe und ich jetzt erst den Businessbereich betrete. Was dann kommt, macht mich sprachlos. In der ersten Klasse finden sich mehrere exklusive Bereiche. Ich werde zur Lounge geleitet – eine luxuriöse Kabine mit einzelnen Ledersesseln und einem phänomenalen Ausblick, durch ein Panoramafenster direkt in Fahrtrichtung, fast die Perspektive des Kapitäns einnehmend. Der sitzt nur ein Deck höher.
Die Loung ist komplett leer, ich habe das ganze „Zimmer“ für mich. Hausschuhe gibt es natürlich auch, die sind sogar Pflicht. Noch ein Hollywood-Moment.





Bei dem strahlenden Sonnenschein und den milden Temperuren bin sowieso lieber draußen auf dem Freideck und lasse deshalb das Gepäck in meinem Luxus-Abteil, genieße die Herbstsonne, schaue mir das Schiff an und setze mich dann in die normale 2. Klasse, dort gibt es nämlich die Tische auf die ich so gehofft hatte.

Yawatama ist eine charmante Küstenstadt, umgeben von Gebirgen. Am Hafen ist ein Fischmarkt und an der Touristeninformation können Fahrräder ausgeliehen werden. Das Städtchen kommt auf meine Bucket-List für die nächste Japanreise.
Am Bahnhof spricht meine ältere Dame in ausgezeichnetem Englisch an und erkundigt sich nach meinen Eindrücken von Japan. Sie hat lange Zeit in den USA gelebt und hat auch eine touristische Reise in die Schweiz gemacht. Sie schenkt mir eine Ehime-Orange, die köstlich schmeckt.

In Matsuyama checke ich in dasselbe Hotel ein wie zwei Wochen zuvor, ich genieße ein Onsen-Bad am Abend und eins am Morgen. Im Park vor dem Kulturzentrum ist wieder eine große Veranstaltung, ein Street-Food- Festival. Die Bäume, die vor 14 Tagen noch goldgelb waren, haben jetzt eine tiefrote Farbe angenommen.
Mein Ziel ist das Ehime Museum of Arts, wo ich mir ein zweites Mal die Miniaturen-Ausstellung von Tatsuya Tanaka ansehe. Und wieder fasziniert bin. Matsuyama – das Jena Japans.
Tageswertung: 9 Punkte
Datum: 15. November 2025 — Ort: Matsuyama
Ausstellung: Die Miniaturen des Tatsuya Tanaka
Die Faszination für kleine Objekte reicht in Japan bis ins 17. Jahrhundert zurück. In dieser Zeit begannen viele Formen der Miniaturkunst aufzublühen. Zunächst entstanden Netsuke, die ursprünglich praktische Gegenstände waren, mit denen die Schnur eines am Kimono getragenen Beutels befestigt wurde. Im Laufe der Zeit wurden sie immer kunstvoller gestaltet und entwickelten sich zu einer eigenen Kunstform. Ebenso wurden während der Edo-Zeit winzige Kinderspielzeuge beliebt, was zur Entstehung einer neuen Handwerkskultur im Miniaturenbau führte. Bis heute setzen japanische Künstler – darunter Tatsuya Tanaka – diese Tradition der Miniaturskulpturen fort.
Die Begeisterung für verkleinerte Alltagsgegenstände hat weltweit viele Menschen in ihren Bann gezogen. Ob winzige Einzelfiguren, kunstvolle Miniatur-Dioramen oder sogar essbare Miniaturgerichte, die ihren normalgroßen Vorbildern täuschend ähnlich sehen – die japanische Miniaturkunst blüht weiter und nimmt immer neue Formen an. Ein herausragendes Beispiel für einen Künstler, der dieser alten Kunstform neue Impulse verleiht, ist Tatsuya Tanaka. Seine Ausstellung in Matsuyama hat mich vollkommen in ihren Bann gezogen: durch die liebevolle Präzision, mit der er Illusionen erschafft, durch die Einfallskraft, mit der er Alltagsgegenstände zu kleinen Welten verbindet, und durch den feinen Humor, der vielen seiner Szenen innewohnt. Ich habe sie zweimal besucht, im Abstand von 14 Tagen und dabei festgestellt, dass einige Objekte ausgetauscht wurden. Tatsächlich las ich in einem Interview mit dem Künstler, dass er täglich ein neues Objekt schafft.
Tatsuya Tanaka
Geboren in Kumamoto, begann dieser Künstler 2011 damit, seine Miniaturkompositionen online zu veröffentlichen. Seit über einem Jahrzehnt postet er jeden Tag eine neue Miniaturszene! Doch es gibt etwas ganz Besonderes an seiner Arbeit, das sie von anderen Miniaturen unterscheidet:
Er erschafft all seine Szenen aus alltäglichen Gegenständen.
Tanaka war fasziniert von der Idee, dass manche Gebrauchsgegenstände größeren Dingen ähneln: Brokkoli sind nichts anderes als winzige Bäume, verstreuter Reis wirkt wie eine Schneelandschaft. Diese Gegenstände kombiniert er mit kleinen Figuren, um alltägliche Szenen neu zu interpretieren. Er lädt sie anschließend in seinen MINIATURE CALENDAR hoch – in der Hoffnung, jemandem damit den Tag zu verschönern. Es sind bereits ca. 5000 Objekte.: https://miniature-calendar.com oder https://www.instagram.com/tanaka_tatsuya
Hier sind ein paar Beispiele, die ich in der Ausstellung fotografiert habe:
















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