Der MANNAKA SENNEN MONOGATARI: ein Sonderzug durch das Iya-Tal.
Auf diesen Tag habe ich schon seit langem gefreut. Das Ticket für diese ganz besondere Fahrt zu erwerben, war nicht einfach. Zunächst muss man sich bei der regionalen Bahngesellschaft JR Shikoku registrieren und sein Interesse an einer solchen Fahrt bekunden. Dann kann man auf einer sehr unübersichtlichen Webseite – die aussieht wie aus dem Jahr 1995 – unter drei Zugstrecken auf Shikoku auswählen, den Tag und die Route festlegen und muss im Voraus bezahlen. Die Züge verkehren nur am Wochenende und sind schnell ausgebucht. Ich empfinde es als großes Glück, so ein Ticket ergattert zu haben, und die zwei Reisen, die ich auf Shikoku unternehme, haben mir geholfen, meinen Reiseplan – zumindest in der ersten Woche – zu strukturieren.
Mein heutiger Zug fährt ab Oboke, da muss ich erst einmal hinkommen. Von meiner Unterkunft in Awa Ikeda fährt am Morgen ein Bus, die Fahrzeit beträgt ca. 45 Minuten. Da es im Hotel kein Frühstück gibt, gehe ich in den 7-Eleven am Bahnhof, wo ich mit einem freundlichen „Konnichiwa“ begrüßt werde und frischen Kaffee sowie ein warmes Gebäckstück und eine tolle Suppe bekomme – alles zusammen für weniger als fünf Euro. Der Bus hält vor der Bibliothek. Toll – dieses Dorf hat eine eigene Bibliothek, und die sieht auch richtig chic aus.
Bezahlt wird in japanischen Bussen und Straßenbahnen immer beim Aussteigen. Daher ist hinten der Einstieg und vorn der Ausstieg. Stadtbusse und Trams haben einen Festpreis, von Stadt zu Stadt unterschiedlich – etwa 0,80 bis 1,00 Euro. Bei Überlandbussen zieht man ein Ticket, das mit einer Nummer den Ort ausweist, an dem man eingestiegen ist. So weiß der Busfahrer, wie viel er für das Ticket berechnet. Die Passagiere sehen ihren Preis auf einem Display, sodass sie das Geld schon passend zurechtlegen können.

Oboke ist ein kleiner Ort, der vor allem bei japanischen Touristen und Naturliebhabern beliebt ist. Er gilt als Tor zum Iya-Tal, einer der entlegensten Regionen Japans, mit Lianenbrücken aus Bergwein, reetgedeckten Bauernhäusern und einer wundervollen Bergkulisse. Man kann hier Bootsfahrten unternehmen, raften und auf einem Pilgerweg wandern. Eine Attraktion, die ich mir ansehe, ist eine der Weinbrücken über das Iya-Tal. Ein kleiner Bus bringt Reisende vom Bahnhof Oboke zu einem großen Parkplatz, von dem Wanderwege in den Wald führen. Viele kleine Imbissbuden bieten gebratenen Fisch und Suppen an. Es sind viele Familien mit Kindern unterwegs, einige wenige ausländische Touristen.




Für das Passieren der Brücke werden Eintrittskarten verkauft – aus gutem Grund, es geht nur in eine Richtung. Aber es ist nicht gefährlich, und alle haben Spaß. Im Anschluss kann man noch einen Wasserfall bestaunen oder am reißenden Fluss entlangwandern. Die Natur ist atemberaubend schön hier, und die Sonne vertreibt die Herbstkälte, die am Morgen noch sehr präsent war.
Zurück am Bahnhof. Der große Moment ist da: Der Panorama-Zug fährt ein! Auf dem Bahnsteig spielt eine Kapelle, eine Maschine erzeugt Luftballons, und ein paar Dorfbewohner schwenken Fahnen. Zugbegleiterinnen in unglaublich eleganten Uniformen steigen als Erste aus und verabschieden ihre Fahrgäste – die alle sehr, sehr glücklich aussehen. Der Name des Zuges bedeutet „Die Geschichte von tausend Jahren“ und erinnert an die Legenden um Kōbō Daishi, den buddhistischen Mönch, auf den der Pilgerweg der 88 Shikoku-Tempel zurückgeht.

Nachdem ich von diesem wunderschönen Zug hunderte Fotos von außen gemacht habe, dürfen wir 15 Minuten vor Abfahrt einsteigen. Ich habe den Platz A1 im Wagen 1 und sitze in einem grünen Wohnzimmersessel an einem thekenartigen, langen Tisch mit Blick direkt aus dem Fenster – im 90-Grad-Winkel zur Fahrtrichtung. Vor mir liegen eine Speisekarte und allerlei kleine Geschenke; alles ist von gediegener Eleganz.

Das Interieur des Zuges ist den traditionellen Häusern im Iya-Tal nachempfunden, und die Besonderheit ist die gastronomische Versorgung: Es gibt besonders luxuriöse Bentos (in wunderschönen Holzboxen), die aus lokalen Zutaten bestehen und nach Rezepten der Region zubereitet sind. Nach und nach werden Getränke serviert, dann bekommt man seine Box – alles läuft sehr würdevoll ab.

Die Begleiterinnen geben immer wieder Hinweise auf Orte und Sehenswürdigkeiten, die wir passieren. Mehrfach hält der Zug, und die Passagiere steigen aus, um einen kleinen Bahnhof oder einen Schrein zu bewundern. Dann wird es lustig, und es werden viele Fotos gemacht; die Zugbegleiterinnen sind gern behilflich. Auf einer Bahnstation wird ein Gruppenfoto aufgenommen, und alle Passagiere erhalten am Ende der Reise ein Zertifikat mit diesem Foto. Wenn die Passagiere den Zug verlassen, deckt das Zugpersonal alle Speisen ab, damit sich ja keine Fliege auf das Essen verirrt oder ins Weinglas fällt.

Kurzum: Diese Bahnfahrt mit diesem außergewöhnlichen Zug durch das herbstliche, ländliche Japan ist ein Traum – und mindestens so schön, wie sie auf der Website beworben wird: Shikoku Sightseeing Train: SHIKOKU MANNAKA SENNEN MONOGATARI. Der Preis für dieses exklusive Bahnerlebnis entspricht einer DB-Fahrkarte 2.Klasse von Erfurt nach Nürnberg.
Am Abend geht es dann im profanen Schnellzug weiter bis in die größte Stadt Shikokus, die Hauptstadt der Präfektur Ehime – Matsuyama. Dort startet nämlich der zweite Sonderzug am darauffolgenden Tag.
Das Hotel liegt direkt am Bahnhof, in einer Shoppingmall, und hat ein eigenes Onsen. So kann ich an diesem Tag auch noch mein erstes Onsen-Bad genießen. Dazu mehr im nächsten Bericht.
Tageswertung: 10 Punkte +++
Weitere Eindrücke








Datum: Sonntag, 2. November 2025 — Ort: Oboke
Landeskunde: Onsen
Onsen – die heißen Quellen Japans – gehören zu den ältesten und beliebtesten Traditionen des Landes. Sie entstehen durch vulkanische Aktivität und speisen Bäder mit mineralhaltigem, oft dampfendem Wasser, das je nach Region unterschiedliche Zusammensetzungen hat. Viele Quellen enthalten Schwefel, Natriumchlorid oder Eisen, denen eine heilende Wirkung für Haut, Kreislauf und Muskeln zugeschrieben wird.
Das Baden im Onsen ist weit mehr als Körperpflege – es ist ein ritualisiertes Erlebnis und Ausdruck japanischer Badekultur. Vor dem Eintauchen wird der Körper gründlich gewaschen, das Wasser selbst betritt man stets sauber und ruhig. Gespräche sind gedämpft, Telefone tabu; man genießt die Stille und wenn das Bad outdoor ist, den Blick in die Natur.
Viele Ryokan (traditionelle Gasthäuser) verfügen über eigene Quellen, und selbst in modernen Städten finden sich öffentliche Badehäuser, die das alte Ritual bewahren.
Ein Besuch im Onsen verbindet Ruhe, Natur und Achtsamkeit – und gilt für viele Japaner als kleine Rückkehr zum Ursprünglichen: in warmes Wasser eintauchen, den Alltag abstreifen und still genießen. Tatoos sind übrigens ebenfalls tabu, tatsächlich dürfen tätowierte Menschen nicht ins Bad.

Was mir aufgefallen ist
Jede noch so kleine Bahnstation sieht gepflegt aus, ist mit Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen besetzt, die sich um die Sicherheit des Zugverkehrs kümmern und für die Bahnreisenden da sind. Es sind fast überall Schließfächer vorhanden – zu bezahlbaren Preisen und natürlich gibt es kostenlose, blitzsaubere Toiletten. Manchmal auch Kunst 🙂

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