Ehime ist Japans Orangen- und Zitronenregion. In Matsuyama gibt es einen Platz, an dem man – gegen eine geringe Gebühr – frischen Orangensaft aus einem Wasserhahn zapfen kann. Der Geschmack variiert je nach Saison.

Auch in meinem Hotel finde ich zum Frühstück fünf Sorten Orangensaft und spezielle Tabletts mit Markierungen und Erklärungen. Die verschiedenen Sorten kann man in kleine Gläser abfüllen und diese so auf dem Tablett platzieren, dass man anschließend den Geschmacksvergleich durchführen kann. Auch die Farben sind unterschiedlich.


Für mich steht heute die zweite Sonderfahrt mit einem Themenzug an. Am Bahnhof ein kurzer Schockmoment: Der Zug fährt von einer anderen Station ab. Mit der Straßenbahn schaffe ich das nicht, ich habe nur 20 Minuten. Ich sehe auch kein Taxi und habe keine Taxi-App. Panik!
Ich entdecke ein Taxi, das die Straße entlangfährt – und es hält. Alles wird gut. Ich lerne, dass auch Taxifahren in Japan Spaß macht. Die (hintere) Tür wird elektrisch durch den Fahrer geöffnet, die Passagiere nehmen auf der Rückbank Platz. Ein älterer Herr (meine Generation) lässt den altmodischen Toyota mit großer Eleganz und Würde durch die Straßen gleiten. Er trägt weiße Handschuhe, ein weißes Hemd und eine Chauffeursmütze. Und er ist freundlich und stellt keine aufdringlichen Fragen (wie in anderen Ländern).

Ich wundere mich, dass die Straßen so leer sind – Matsuyama ist eine Großstadt mit 500.000 Einwohnern, und es ist Montagmorgen. Aber ich bin froh, dass wir schnell den richtigen Bahnhof erreichen. Die Fahrt kostet vier Euro.
Dort wartet ein weiterer Themenzug, für den ich schon vor vielen Wochen ein Ticket ergattert habe: der Iyonada Monogatari, er fährt entlang der Küste von Ehime in die Kleinstadt Ōzu.

Das Prozedere ist ähnlich wie gestern, aber es ist ein anderes Team; die Zugbegleiterinnen haben andere Uniformen (eigentlich ein völlig unpassender Begriff für die elegante Bekleidung). Die Ausstattung ist ähnlich luxuriös wie gestern, der Stil der Wagen ist jedoch ein anderer – eher retro-modern. Auf der Hinfahrt gibt es ein wunderbares Frühstück in einer Bentobox, dazu eine Suppe und Kaffee. Auch dieser Zug hält unterwegs mehrfach.
Und – wie schon am ersten Tag – stehen immer wieder Menschen an der Strecke und winken oder schwenken Fahnen. Manche tragen auch merkwürdige Kostüme. Ich frage mich, ob sie von der Bahngesellschaft dafür bezahlt werden – aber dafür sind es eigentlich zu viele. Der Zug wird überwiegend von japanischen Touristen genutzt, er hat ungefähr 40 Plätze. Ich entdecke zwei deutsche und einige chinesische Touristen.







Kurz vor der Ankunft in Ōzu werden wir von den freundlichen Zugbegleiterinnen einzeln verabschiedet, und ich erhalte ein besonderes Geschenk: eine handgeschriebene Dankeskarte mit einem liebevollen Gruß – auf Deutsch! Ich bin gerührt, vor allem weil diese Aufmerksamkeit nicht zum Standardprogramm gehört; ich sehe nicht, dass andere Passagiere solche Karten bekommen. Wahrscheinlich haben meine Augen während der Zugfahrt besonders vor Begeisterung geleuchtet.

Für diesen Zug habe ich sogar die Rückfahrt gebucht – eigentlich nur wegen der sich verändernden Lichtverhältnisse zum Fotografieren. Aber der Rückweg lohnt sich, denn es gibt anderes (und nochmals besseres) Essen, und an einer Station wird uns eine Eisenbahnerkatze präsentiert – mit Mütze und ernstem Gesicht. Dabei weiß jeder Hobbyeisenbahner und jede Katzenfreundin, dass es nur eine amtlich zertifizierte Katze in dieser Funktion gab: Tama, dann Tama 2 und heute hoffentlich Tama 3. Sie amtierten / amten in Wakayama, südlich von Osaka.
Katze Tama: Karriere als Bahnhofsvorsteherin – JAPANDIGEST


Für den Nachmittag habe ich mir vorgenommen, mein Tagebuch zu schreiben, aber ich entscheide mich, noch einen kleinen Spaziergang zu unternehmen, und komme (zufällig) zu einem ruhigen Park mit vielen Bäumen, an dessen Ende sich eine riesige, mit einzelnen Bäumen bepflanzte Rasenfläche auftut – etwa so groß wie vier Fußballfelder. Auf den Wiesen spielen Jugendliche und Familien ausgelassen, manche lassen Drachen steigen, Verliebte sitzen unter den gelb gefärbten, von der Sonne beschienenen Bäumen. Seniorinnen genießen die Herbstsonne. Über allem thront auf einem Berg die Burg – das Wahrzeichen der Stadt Matsuyama. Was für ein schöner Anblick. Was für ein schöner Tag.


Das angrenzende Gebäude weckt meine Neugier. Ist das eine Universität? Die vielen jungen Menschen legen das nahe, aber beim Näherkommen wird klar: Es ist das Kulturzentrum der Stadt, mit einer Bibliothek und Ausstellungen. Das Gebäude ist voller Menschen, ich sehe viele Verkaufsstände und Kinder, die an Bastelworkshops teilnehmen. Ich schaue mir die angebotenen Ausstellungen an – und eine macht mich besonders neugierig. Ich werde dort zwei Stunden verbringen und mal wieder überwältigt sein. Darüber später mehr.

Auf dem Weg zum Hotel verlaufe ich mich glücklicherweise, denn nur deshalb gerate ich in ein großes, kunterbuntes Straßenfest mit hunderten Ständen, Musikdarbietungen, Zauberkünstlern und vielen glücklichen Menschen. Ich frage zwei freundliche Männer, die dem Treiben bei einem Glas Wein oder Sake folgen, nach dem Anlass und erfahre, dass es ein Fest zu Ehren der Burg ist, das jährlich stattfindet. Ich lasse mich treiben, von der ausgelassenen Atmosphäre anstecken – und freue mich über viele schöne Fotomotive.






Am Abend genieße ich erneut ein heißes Onsenbad und schlafe mit schlechtem Gewissen ein. Das Tagebuch macht keine Fortschritte. Viel im Kopf, aber nichts auf dem Papier.
Tageswertung: nur 9,5 Punkte /wegen Tagebuchproblemen
Weitere Eindrücke







Datum: Montag, 3. November 2025 — Ort: Matsuyama
Landeskunde kompakt: Japans Wirtschaft
Japan gehört zu den großen Industriestaaten der Welt. Die Wirtschaftsstruktur ähnelt der deutscher Industrieländer, ist aber stark durch traditionelle Organisationsformen geprägt.
Landwirtschaft
Nur etwa 15 % der Fläche können landwirtschaftlich genutzt werden. Die Höfe sind klein, familiengeführt und stark subventioniert. Der Selbstversorgungsgrad liegt nur bei rund 40 % – deutlich niedriger als in Deutschland. Japan ist deshalb auf Lebensmittelimporte angewiesen.
Industrie
Die Industrie ist das Rückgrat der Wirtschaft: Maschinenbau, Fahrzeugbau, Elektronik, Robotik und Präzisionstechnik gehören zu den Stärken. Große Konzernverbünde prägen das Land stärker als Mittelstandsbetriebe, wie man sie aus Deutschland kennt.
Dienstleistungen
Rund 70 % der Erwerbstätigen arbeiten im Dienstleistungssektor. Finanzwesen, Handel, Transport und Tourismus spielen eine große Rolle. Die Struktur ähnelt Deutschland, ist aber stärker auf Großunternehmen ausgerichtet.
Probleme der Vergangenheit
Nach dem Platzen der Spekulationsblase Anfang der 1990er-Jahre litt Japan lange unter schwachem Wachstum und Deflation. Die Folgen prägen die Wirtschaft bis heute.
Währung
Die Landeswährung ist der Yen, dessen Wechselkurs in den letzten Jahren gegenüber Euro und Dollar schwächer geworden ist – was Reisen nach Japan etwas günstiger macht. Aktuell gilt: 1 Euro ≈ 178 Yen nach den Referenzkursen der Europäische Zentralbank (2020: 1 Euro ≈ 122 Yen)
Aktuelle Herausforderungen
Japan kämpft mit einer drastisch alternden Bevölkerung, hohem Arbeitskräftemangel, sehr hoher Staatsverschuldung sowie einer eher langsam verlaufenden Digitalisierung. Gleichzeitig steht das Land – ähnlich wie Deutschland – vor der Aufgabe, Energieversorgung und Industrie an neue globale Bedingungen anzupassen.
Interessanter Deutscher Welle –Podcast zum Thema Japans Wirtschaft: Der buddhistische Kapitalismus
Was mir aufgefallen ist:
Wie wenig Verkehr selbst an Wochentagen, auch in vergleichsweise großen Städten herrscht. In Osaka und Tokio ist das sicher anders, aber auf meiner Reiseroute staune ich über vergleichsweise leere Straßen. Ich sehe keine Staus, höre keine Hupkonzerte und auch Busse und Straßenbahnen sind nie überfüllt . Die Fußgängerinnen und Fußgänger hetzen nicht, niemand drängelt. Sehr gut gefallen mir die altmodischen Straßenbahnen, die in Matsuyama noch im Regelbetrieb sind.

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